FFT-Methode Fall-Validität

Informiert investieren trotz Grauem Kapitalmarkt

Herausforderung Entscheiden unter Unsicherheit

Mangelt es an belastbaren Daten zum Eintreffen spezifischer Ereignisse oder an Wissen über Entscheidungskonsequenzen, liegt ein Problem der Unsicherheit vor. Bessere Entscheidungen können dabei kaum durch den geübten Umgang mit Statistiken oder ihre transparente Kommunikation erreicht werden. Stattdessen ist die zentrale Fragestellung, wie der einzelne Verbraucher die Unsicherheit in seiner Entscheidungssituation reduzieren kann. Hierbei sind zwei Szenarien zentral:

Wie kann Unsicherheit für Problemstellungen alltagstauglich (schnell, praktisch) reduziert werden, bei denen der Verbraucher auf sich allein gestellt ist?

Wie kann Unsicherheit für Problemstellungen alltagstauglich (schnell, praktisch) reduziert werden, bei denen ein Experte dem Verbraucher Rat gibt?

 

Warum ist es schwierig, Entscheidungsunterstützung bei Problemen der Unsicherheit zu geben?

Entscheidungsprobleme der Unsicherheit zeichnen sich durch einen Mangel an belastbaren Daten aus. Dadurch ist eine direkte Auswahl der besten Entscheidungsoption im Grunde ausgeschlossen. Die Unterstützung besteht darin, entscheidende Strategien zu kennen, um Unsicherheit zu reduzieren. Was muss ich fragen, um die Auswahl möglicher Informationen bzw. Optionen zu reduzieren? Wonach muss ich suchen? Was muss ich prüfen, um unpassende Optionen auszusortieren, welche die Mindestanforderungen nicht erfüllen?

Welcher wissenschaftliche Lösungsansatz bietet sich an?

Im Gegensatz zu Verbrauchern sind Experten in einem bestimmten Fachgebiet in der Lage, anhand weniger heuristischer Merkmale objektive Standardunterschreitungen bei einem Entscheidungsproblem zu identifizieren. Mithilfe einer Analyse von konkreten Entscheidungssituationen von Verbrauchern werden mögliche Expertenheuristiken in Entscheidungsbäume destilliert. Diese fassen das auf Erfahrung basierte Bauchgefühl der Experten zusammen und leihen dem Verbraucher eine robuste Expertise, mit der er, dem Experten ähnlich, die Spreu vom Weizen zu trennen vermag. 

Dies ist nicht nur für Fragestellungen bedeutsam, bei denen Verbraucher auf sich allein gestellt sind. Auch für Beratungssituationen lassen sich mögliche Entscheidungsheuristiken in Entscheidungsbäumen kombinieren: Hier geht es darum, dem Berater die wichtigsten Fragen zu stellen, um diese Situation robust einschätzen zu können.

Geeignete Entscheidungsbäume, die transparent, für Verbraucher nachvollziehbar und zugleich von hoher Güte sein können, sind die Fast-and-Frugal Trees (FFTs). Diese FFTs stellen eine Abfolge von zu prüfenden Merkmalen dar (Martignon et al., 2008). Es gibt immer nur eine Abzweigung (Stopp) oder man kommt zum nächsten Prüfmerkmal, aber es gibt keine weiteren Verzweigungen (s.u. das Themenbeispiel). Dies unterscheidet die FFTs von üblichen Entscheidungsbäumen. Erst beim letzten Merkmal in der Kette gibt es zwei Abzweigungen. 

Es wurde gezeigt, dass FFTs in verschiedensten Entscheidungssituationen unter Unsicherheit schnelle und zuverlässige Entscheidungen ermöglichen, u.a. in der Psychiatrie, in der Anästhesiologie, aber auch in der Finanzwelt (Aikman et al., 2014; Green & Mehr, 1997; Jenny et al., 2013). FFTs lassen sich in Form einer grafisch aufgearbeiteten, einfachen Baumstruktur sowohl digital (z.B. App, Internetseite) als auch analog zu den Verbrauchern bringen (z.B. auf Postern oder in Broschüren). Somit sind sie ein evidenzbasiertes Instrument zur Entscheidungsunterstützung, das einfach zu implementieren ist. Im RisikoAtlas-Projekt wurde es erstmals für die alltägliche Verbraucherpraxis entwickelt und umgesetzt. Der Einsatz der FFTs ist zudem lebensdienlich, da ihre Benutzung Fähigkeiten trainiert. Die Verwendung der FFTs erleichtert das Verinnerlichen von Schlüsselmerkmalen für Problemstellungen und regt kritisches Denken an.

Die Reihenfolge der Merkmale in einem FFT ist kritisch und muss aufwendig im Vorhinein ermittelt werden. Hierbei sind manuelle, aber auch komplexere Ansätze mithilfe der Methoden des maschinellen Lernens vorhanden. Einmal statistisch ermittelt, ermöglicht diese Merkmalskombination einem Verbraucher, Entscheidungsoptionen robust zu klassifizieren (z.B. dahingehend, ob eine informierte Entscheidung ermöglicht wird), indem er die Ausprägung der Merkmale eigenständig überprüft.

 

Wie konstruiert man einen Entscheidungsbaum für ein Verbraucherproblem – die FFT-Methode fallbasierter Merkmalsvalidität

A. Was benötigen Sie?

Für die evidenzbasierte Entwicklung von FFTs benötigt man bei allen Ansätzen (inkl. der FFT-Methode fallbasierte Merkmalsvalidität) eine Datenbasis mit drei Teilen: Merkmale des Problems, Fälle der Problemstellung und die jeweilige Fallbewertung.

  1. Teil – Merkmale des Problems 

Es ist zunächst erforderlich zu klären, was das Problem ist, und zu definieren, über welche konkrete Entscheidung oder Bewertung informiert werden soll. Was soll der Entscheidungsbaum liefern? Unter diesem Gesichtspunkt recherchiert man mithilfe von Experten (z.B. Workshops), Kollegen, Laien und der Fachliteratur (Fachzeitschriften, White Papers, Regierungs- bis hin zu Erfahrungsberichten) Kandidatenmerkmale. Kandidatenmerkmale sind all jene Eigenschaften der Problemsituation, die möglicherweise ein Indikator für eine gute oder schlechte Entscheidung bei dem Problem sein könnten. Es kann lohnenswert sein, auch neue Merkmale, eigene Vermutungen, Intuitionen hinzuzuziehen. 

Jedes Kandidatenmerkmal muss durch einen Laien verstehbar und prüfbar sein. Die Liste sollte idealerweise ähnliche Merkmale zusammenfassen, gerade wenn es zu viele Merkmale werden. Man kann sagen, dass die von Experten gestützte Merkmalsauswahl im Vorhinein die wichtigste Stellschraube ist, vor allem um kosteneffektiv zu entwickeln. Denn jedes Merkmal zusätzlich verlangt mehr Fälle, um eine robuste Entwicklung zu ermöglichen. Als Faustregel kann man im Grunde 20 bis 50 Fälle für jedes Merkmal rechnen. Und jeder Fall bedeutet Aufwand: Jeder Fall muss einzeln in allen Merkmalen kodiert und eine Bewertung gewonnen werden. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

  1. Teil – Fälle der Problemstellung

Wenn man einmal die Auswahl von Kandidatenmerkmalen getroffen hat, muss man herausfinden, wie oft sie unter welchen Umständen in der echten Welt vorzufinden sind. Hierfür sammelt man Material typischer Entscheidungssituationen, z.B. echte Kaufangebote, Videos echter Beratungssituationen oder echte Informationsangebote. 

Liegt solches Material vor, sind mit einem systematischen Ansatz möglichst realitätsgetreue Fälle dieser Entscheidungssituationen auszuwählen. Hierfür muss man sowohl berücksichtigen, wie viele Kandidatenmerkmale man untersuchen möchte, aber auch wie selten der Prüfgegenstand ist, also was der Entscheidungsbaum zu identifizieren helfen soll. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Liegt solches Fallmaterial von typischen Entscheidungssituationen nicht vor, ist die FFT-Methode fallbasierter Merkmalsvalidität nicht geeignet. In einem solchen Fall muss man auf eine andere Methode ausweichen.

  1. Teil – Fallbewertungen

Für jeden Fall in Ihrer Datengrundlage müssen Sie wissen oder festlegen, ob das Zielkriterium erfüllt ist oder nicht. Im Fall einer Gesundheitsinformation wäre beispielsweise eine positive Bewertung das Zielkriterium, wenn durch sie eine informierte Entscheidung ermöglicht wird, andernfalls eine negative Bewertung. Ohne diese Basis von bereits entschiedenen Fällen ist kein Modell für zukünftige Entscheidungsunterstützung denkbar. Ein Ansatz wäre, dass Sie jeden Fall testen, d.h. ermitteln, wie er ausgegangen ist. In der Regel ist dieser Aufwand nicht zu leisten, weil es hieße, 500 bis 700 Fälle experimentell zu untersuchen. 

Die Alternative ist der „Blick des Experten“, auf welchen der hier vorgestellte Modellansatz von Beginn an abzielte. Mehrere voneinander unabhängige Experten bewerten jeden einzelnen Fall mit Blick auf das Zielkriterium, z.B.: „Ermöglicht diese Gesundheitsinformation eine informierte Entscheidung?“ Die Urteile müssen dann zusammengeführt werden. Der Medianwert über ihre Urteile erweist sich zum Zusammenführen der einzelnen Bewertungen als robuster als arithmetische Mittelwerte. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt

B. Wie gehen Sie vor?

Sie müssen nun herausfinden, welche Merkmale die von Ihnen ausgewählten Fälle (z.B. echte Kaufangebote) aufweisen oder nicht aufweisen. Während Sie diese Fälle in Ihren Kandidatenmerkmalen beschreiben, lernen Sie viel über die tatsächliche Prüfbarkeit der Merkmale durch Laien. Es ist anzunehmen, dass Sie sich als Konsequenz bereits einiger Merkmale entledigen, für die eine korrekte Überprüfung durch Verbraucher schwierig gewesen wäre.

Parallel zur Kodierung der Fälle in den Merkmalen sind die Expertenbewertungen „einzusammeln". Hierbei erhalten alle Experten immer nur das Fallmaterial, niemals die Merkmale oder gar die Merkmalskodierung. Ziel ist, die Expertenbewertungen (den Blick des Experten) unabhängig zu modellieren.

Da die Kodierung von zahlreichen Kandidatenmerkmalen sehr aufwendig ist, verspricht ein früher Zeitpunkt einer weiteren Reduzierung der Merkmalsanzahl große Effizienzgewinne. Bevor man allerdings eine Auswahl mithilfe von Laien vornimmt, indem man testet, wie gut sie die Merkmale verstehen, ist eine statistische Antwort in der Regel günstiger und einfacher. Bereits nach 100 Fällen lohnt sich eine einfache statistische Merkmalsselektion. Hierbei stehen verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, z.B. das boruta-Paket oder das caret-Paket (beides in der Open-Source-Lösung R implementiert). Mit boruta wird die grundsätzliche Bedeutung der einzelnen Merkmale durch sogenannte Random Forests überprüft. Verhält sich ein Merkmal mit Blick auf die Expertenbewertungen wie eine Zufallszahl, lautet die statistische Empfehlung, es mangels Bedeutung in der weiteren Entwicklung beiseite zu lassen. Auch hier gilt wie bei allen statistischen Ansätzen, die auf Stichproben basieren: Wenn Ihr Hintergrundwissen sagt, dass das Merkmal eigentlich bedeutsam sein sollte, nehmen Sie es eine weitere Runde mit und kodieren es ebenfalls in den nächsten 100 Fällen.

Diesen Vorgang aus Kodieren, Bewerten und statistischer Merkmalsauswahl wiederholen Sie alle 100 Fälle und versuchen so auch das Set der Merkmale handhabbarer zu gestalten. Dies wirkt sich positiv auf den Aufwand zur Kodierung, der Expertenbewertungen und auch der Modellfindung aus.

Wenn sich bei der Merkmalsauswahl nichts mehr ändert, Sie je nach Merkmalsanzahl 500 bis 1000 Fälle bewertet haben oder Sie Gefahr laufen, sechs Merkmale zu unterschreiten, lohnt sich eine Modellierung des Entscheidungsbaums auf Basis dieser Fall-Merkmals-Bewertungs-Profile. 

Die Pipeline zur Entwicklung lässt sich in einer vereinfachten Darstellung zusammenfassen:

Pipeline zur Entwicklung - fallbasiert

Die Modellierung aus Baumerstellung und Kreuzvalidierung ist händisch möglich, im Sinne einer effektiven Modellfindung mithilfe der Open-Source-Lösung R jedoch leichter. Neben dem Paket FFTrees (Phillips et al., 2017) können Sie auch eine Weblösung von Evaldas Jablonskis und Uwe Czienskowski unter http://www.adaptivetoolbox.net/Library/Trees/TreesHome#/nutzen. Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Sie werden einen Fast-and-Frugal Tree (FFT) modellieren mithilfe des Teils der Fälle, den Sie als Trainingsdaten auswählen; oft 50% bis 80% der Fälle. Dieser FFT hat eine gewisse Fähigkeit, richtige Entscheidungen zu fällen (Bewertung). D.h., er wird in der echten Welt Fälle übersehen und bei anderen fehlalarmieren. Um diese Fähigkeit quantifizieren zu können, führen Sie entweder eine statistische Kreuzvalidierung durch (Sie wenden den ermittelten Entscheidungsbaum auf zufällig wiederholt gezogene Fälle an; Testdatenfälle) oder Sie wenden ihn einmal auf eine Sammlung von Fällen mit Bewertungen an, die Sie vor der Modellierung zur Seite gelegt haben (20% bis 50% der Daten). Alternativ können Sie auch noch eine völlig neue Stichprobe von Fällen mit Merkmalskodierungen und Bewertungen sammeln (out-of-sample), auf die Sie den Entscheidungsbaum anwenden (Zusatzaufwand).

Welche Güte ausreichend ist, hängt sehr von den Fehlerarten und den an Fehlentscheidungen geknüpften Kosten ab. Abschließend muss das Modell in der Praxis mit Laien erprobt werden. Hierbei ist eine randomisierte kontrollierte Studie zweckmäßig, bei der man Entscheidungsintentionen von Verbrauchern, denen man den Entscheidungsbaum zur Hand gibt, mit solchen, die nichts oder ein Standardinformationsblatt haben, vergleicht. Wenn Sie bei Güte oder Evaluation Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Literaturempfehlungen zu den methodischen Grundlagen
  • Aikman, D., Galesic, M., Gigerenzer, G., Kapadia, S., Katsikopoulos, K. V., Kothiyal, A., ... & Neumann, T. (2014). Taking uncertainty seriously: Simplicity versus complexity in financial regulation. Bank of England Financial Stability Paper, 28.
  • Green, L., & Mehr, D. R. (1997). What alters physicians' decisions to admit to the coronary care unit?. Journal of Family Practice, 45(3), 219–226.
  • Jablonskis, E., & Czienskowski, U. (2017). Decision trees online. http://www.adaptivetoolbox.net/Library/Trees/TreesHome#/
  • Jenny, M. A., Pachur, T., Williams, S. L., Becker, E., & Margraf, J. (2013). Simple rules for detecting depression. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 2(3), 149–157.
  • Luan, S., Schooler, L. J., & Gigerenzer, G. (2011). A signal-detection analysis of fast-and-frugal trees. Psychological Review, 118(2), 316.
  • Martignon, L., Katsikopoulos, K. V., & Woike, J. K. (2008). Categorization with limited resources: A family of simple heuristics. Journal of Mathematical Psychology, 52(6), 352–361.
Wie können Sie die Methode übernehmen?

Wenn Sie ein Verbraucherthema von unserer Internetseite übernehmen möchten, können Sie das über die folgenden drei Wege tun: 

  1. Sie verwenden eine digitale Kopie. Entweder Sie speichern sich direkt eine Grafik bzw. laden unser PDF herunter oder Sie binden die Grafik mittels Link(a href) oder iframe ein.
  2. Sie ziehen Ihre analoge Kopie und drucken sich unser PDF aus. Die Auflösung ist für Poster und Broschüren geeignet.
  3. Sie empfehlen die App und verweisen auf den RisikoKompass aus PlayStore und AppStore.

Wenn Sie ein eigenes Modell entwickeln möchten, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Wir bitten darum, bei der Nutzung der Instrumente den Zuwendungsgeber, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie das Harding-Zentrum für Risikokompetenz als verantwortliche Entwickler zu erwähnen.

Die Logos zum Download finden Sie hier.

Links zu weiteren Methoden
Fast-and-frugal Tree - Geldanlage im Internet

In den Zeiten der Digitalisierung investieren immer mehr Menschen ihr Geld im Internet, auch in Angebote des sogenannten Grauen Kapitalmarkts. Dort unterliegen Anbieter einer geringeren Aufsicht. Deren Angebote locken immer häufiger mit hohen Zinsen oder Renditen und vermeintlicher Anlagesicherheit Ihres Geldes. Unternehmensbeteiligungen, Crowdfunding-Projekte, Direktinvestments oder Goldsparpläne – bei der zunehmenden Angebotsfülle wird es noch schwieriger, Investitionsmöglichkeiten, die vertrauenswürdig sind, von jenen zu unterscheiden, die es nicht sind. Vertrauenswürdige Angebote zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass Ihnen als Verbraucher essenzielle Informationen bereitgestellt werden, damit Sie mögliche Erträge und Risiken abwägen und somit informiert investieren können. Doch welche Informationen sind das? Mit unserem Entscheidungsbaum als digitale Checkliste prüfen Sie, ob ein Anbieter im Internet Ihnen eine informierte Investitionsentscheidung ermöglicht.

 

Wann brauche ich das Werkzeug?

Wenn Sie erwägen, Geld zu investieren, z.B. um Geld für die Zukunft zurückzulegen, wenn Sie dann direkt im Internet bei Anbietern investieren möchten, anstatt einen Berater hinzuzuziehen, müssen Sie in der Lage sein, die Spreu vom Weizen zu trennen: Sie müssen Angebote aussortieren können, welche einer informierten Investitionsentscheidung im Weg stehen. Welche Angebote ermöglichen Ihnen, potenzielle Erträge und Risiken abzuwägen?

Stellen Sie sich vor, Sie haben nun eine Anlagemöglichkeit gefunden. Das Werkzeug soll Ihnen helfen zu erkennen, ob ein Anbieter Ihnen mit seinem Angebot eine informierte Entscheidung ermöglicht oder ob Sie sein Angebot erst einmal mit einem Berater überprüfen sollten. 

 

Wird informiertes Anlegen behindert?

 

Was zeigt die Grafik?

Die Grafik zeigt einen Entscheidungsbaum, mit dem Sie deutschsprachige Investitionsangebote prüfen können, die eine Direktinvestition erlauben. Hierbei prüfen Sie, ob das vorliegende Angebot überhaupt eine Abwägung von möglichen Erträgen, Kosten und Risiken erlaubt. 

Eine Warnung bedeutet hier, dass vieles gegen eine informierte Entscheidung auf Basis des vorliegenden Angebots spricht. Dafür kann es viele Gründe geben: Der Anbieter hat kein Interesse an einer informierten Entscheidung Ihrerseits oder das Angebot kann einfach unprofessionell gemacht sein. Sie sollten also nicht auf Basis der gegebenen Informationen entscheiden und das Angebot stattdessen mit einem Experten besprechen oder nach anderen Angeboten suchen. In manchen Fällen kann auch der Entscheidungsbaum zu einer falschen Schlussfolgerung gelangen.

Eine Entwarnung bedeutet, dass das Ihnen vorliegende Angebot wahrscheinlich so charakterisiert ist, dass Sie eine informierte Entscheidung treffen können. Wir empfehlen auch immer eine zweite Meinung einzuholen. Beachten Sie bitte, dass die Einschätzung NICHTS über die Qualität des Produkts selbst aussagt. Niemand kann Ihnen sagen, wie sich das Produkt in der Zukunft entwickelt. Auch Entwicklungen aus der Vergangenheit sind wenig aussagefähig für die zukünftigen Entwicklungen. In manchen Fällen kann auch der Entscheidungsbaum zu einer falschen Schlussfolgerung gelangen.

Sie können das vorliegende Angebot auch umfänglich prüfen. Beachten Sie jedoch bitte, dass kein Angebot und auch keine Prüfliste jemals perfekt ist. Mit jedem weiteren Merkmal, welches Sie prüfen, steigt das Risiko einer falschen Einschätzung des Angebots. Weitere Merkmale sind:

  • Wird die Produktart klar benannt?
  • Werden Risiken gestreut bzw. explizit gesagt, dass das Investitionsangebot diversifizieren würde? 
  • Wird die Verknüpfung von Ertragsaussicht und Risiko thematisiert?
  • Wird gewarnt: „Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen“?
  • Wird darauf hingewiesen, dass die bisherige Wertentwicklung tatsächliche oder künftige Wertentwicklung nicht vorherzusagen vermag?
  • Sind die erstmaligen Investitionskosten einschließlich aller Gebühren angegeben?
  • Sind fortlaufende Gebühren ausgeschlossen bzw. zumindest explizit angegeben?
  • Werden Schwankungen der Rendite in der Vergangenheit angegeben?
  • Sind Angaben zur Versteuerung des Investments vorhanden?
  • Sind die Risiken der angebotenen Anlagemöglichkeit konkret erklärt?
  • Gibt es einen Beipackzettel zum Investitionsangebot, z.B. ein Produktinformationsblatt?
  • Wird suggeriert, dass andere von Ihrer Investition abhängig sind [NEGATIVES MERKMAL]?
  • Gibt es Aussagen zu garantierten überdurchschnittlichen Beträgen [NEGATIVES MERKMAL]?

Sofern es das Produkt schon in der Vergangenheit gab:

  • Wird die Rendite des zurückliegenden Jahres angegeben?
  • Ist der 5-Jahres-Ertrag (Return) ausgewiesen?
  • Lässt sich das Investitionsangebot auf der Internetseite mit Produkten anderer Anbieter vergleichen?

Zum Unternehmen:

  • Sind Informationen zum Management-Team bzw. der Geschäftsführung gegeben?

Sofern es eine Aufsichtsbehörde geben kann:

  • Ist die für den Anbieter zuständige Aufsichtsbehörde angegeben?
  • Ist der Anbieter bzw. das Investitionsangebot selbst in Datenbanken der Aufsichtsbehörde BaFin aufgeführt?

Zur Form:

  • Ist die Angabe persönlicher Daten zwingend, um Informationen über das Angebot zu erhalten?
  • Ist das dargestellte Angebot als PDF abrufbar?

Sind im Investitionsangebot aussagekräftige Über- und Zwischenüberschriften in den Texten gegeben?

Quelle und Qualität der Daten

Woher stammen die Daten?

Fälle – Welche Angebote dienten als Grundlage?

693 deutschsprachige Angebotsinformationen wurden zum einen durch Experten vom Harding-Zentrum für Risikokompetenz zusammengetragen. Übersichtsseiten einzelner Banken über diverse Kapitalanlagen (also in Tabellenform aufgelistete Kennziffern bestimmter Anlagemöglichkeiten), Beratungsangebote von Banken oder selbstständigen Vermittlern, Versicherungen, Depots und Finanzverwalter wurden hierbei nicht mit aufgenommen. Es sind aber auch jene „Angebote" enthalten, die Laien für Investitionsmöglichkeiten hielten. 

Für die Suche 2018–2019 wurde folgende Strategie gewählt:

Für die ersten 100 Fälle wurde mittels Google mithilfe von Einzelbegriffen analog einer Studie zum Grauen Kapitalmarkt (Verbraucherzentrale Hessen, 2016) gesucht (Anleihe, Altersvorsorge, Fonds, Geldanlage, Investment, Kapitalanlage, Rendite, Sparen, Tagesgeld, Wertpapiere). Hierbei wurden jeweils zehn Treffer genutzt. Bei „Rendite" und „Kapitalanlage" wurden zwei Fälle nicht auf den Google-Ergebnisseiten 1–3 gefunden, sondern jeweils erst auf Seite 5. Wenn ein Treffer zu einer Aufstellung für zwei oder drei sehr ähnliche Produkte eines Anbieters geführt hat, wurde immer das erstgenannte Angebot aufgerufen.

Für die weiteren Fälle 101–500 wurden diese Suchen wiederholt und ausgedehnt und dabei die Zielführung verdichtet mit Suchkombinationen mit Zinsen, Beteiligung, Garantie, Gold, Grüne, Verzinsung, Edelmetall, ETF. Ergänzend zu Google wurden auf Facebook die gleichen Suchen durchgeführt. Weitere 180 Fälle wurden durch die Suche von Laien im Rahmen einer RisikoAtlas-Studie gewonnen. Händisch wurde zudem mit einzelnen Angebotsinformationen von Projekten auf Crowdfunding-Plattformen angereichert.

Zielbewertung – Wie wurde bestimmt, ob eine Angebotsinformation eine informierte Entscheidung ermöglicht?

42 Experten mit akademischer oder praktischer Berufserfahrung bezüglich der Aufbereitung von Angebotsinformationen bewerteten die Fälle. 

Jedes Informationsangebot wurde von je drei Experten hinsichtlich der Aussage bewertet: Die vorliegende Angebotsinformation ermöglicht einem Laien eine informierte Investitionsentscheidung. Ein vierstufiges Antwortformat wurde verwendet. Der Medianwert von je drei Experten wurde als Kriteriumswert für den einzelnen Fall verwendet. Die Experten haben im Rahmen der Studie keinerlei Informationen über die verwendeten Kandidatenmerkmale erhalten.

Um nicht alle von Laien gefundenen Links von Experten bewerten zu lassen, wurden Seiten nicht vorgelegt, bei denen überhaupt kein Produkt beworben wurde (z.B. Finanznachrichten), Startseiten von Unternehmen (es sei denn, nur ein Angebot würde angeboten) sowie sehr ähnliche Produkte bereits bewerteter Anbieter (z.B. nur andere Zahlen, Namen).

Kandidatenmerkmale – Welche Merkmale wurden in den Blick genommen?

Basierend auf verschiedenen Quellen (neben deutschsprachigen Handreichungen z.B. Aspara & Chakravarti, 2015; California Debt and Investment Advisory Commission, 2017; Consumer Fraud Research Group, 2006; Glazer, 2016; Investopedia, 2015a, 2015b, 2017; Investor.gov, 2017; IOSCO, 2002; Law Commission (2014). Fiduciary duties of investment intermediaries. Consultation paper No. 215; Lee et al., 2013; Rensburg & Botha, 2014; Rutledge, 2012; The Share Center, 2017; US Securities and Exchange Commission, 2010, 2014) wurden 138 Merkmale gesammelt, von denen nach dem Ausschluss von Redundanzen nach einem ersten Test 72 als prinzipiell durch Laien einschätzbar betrachtet wurden.

Merkmalsauswahl und Modellierung

Die Vorauswahl von Merkmalen hatte das Ziel, die Anzahl der Kandidaten für das Vorhersagemodell zur Unterscheidung von Anlageinformationen, die eine informierte Entscheidung ermöglichen, und solchen, die das nicht tun, zu begrenzen. Die Merkmalsselektion wurde unter zwei Gesichtspunkten durchgeführt: Laienprüfbarkeit und statistische Bedeutung; in sechs Schritten:

  1. Die Fälle 1–50 wurden von zwei unabhängigen wissenschaftlichen Assistenten in den 72 Merkmalen kodiert, verglichen, diskutiert und harmonisiert. Dabei erwiesen sich weitere 24 Merkmale in der Kodierung als nicht laienverständlich genug.
  2. Die Fälle 51–100 wurden von zwei weiteren unabhängigen wissenschaftlichen Assistenten in 48 Merkmalen kodiert, verglichen, diskutiert und harmonisiert. Anschließend wurde eine statistische Merkmalsselektion (anhand von Random Forest Trees mit boruta im Statistikprogramm R) durchgeführt. 37 Merkmale verblieben.
  3. Die Fälle 101–384 wurden von zwei verschiedenen Paaren von wissenschaftlichen Assistenten in 100er-Gruppen kodiert, verglichen, diskutiert und harmonisiert und weitere drei statistische Merkmalsselektionen durchgeführt. 31 Merkmale verblieben.
  4. Die Fälle 385–484 wurden genutzt, um das Kodierverhalten von Laien gegenüber einem geübten wissenschaftlichen Assistenten zu überprüfen. Jeweils fünf Clickworker erreichten keine zufriedenstellende Übereinstimmung bei 3 Merkmalen. Die statistische Merkmalsselektion reduzierte auf 24 Merkmale.
  5. Laien kodierten im Rahmen einer Laborstudie die Fälle 485–677, zwei wissenschaftliche Assistenten die Fälle 678–693 hinsichtlich der verbleibenden 24 Merkmale. Die statistische Merkmalsselektion brachte keine Veränderung.

Die Modelle

Zum oben anzeigten Modell I – Formate filtern, die hochwahrscheinlich eine informierte Entscheidung ermöglichen

Das Modell I entwarnt bei Angeboten, bei denen Experten voll und ganz zustimmen, dass eine informierte Entscheidung ermöglicht wird. Zum einen wurde für die Modellidentifikation der recursive-Algorithmus von Marcus Buckmann und Özgür Simşek (Manuskript in Vorbereitung) eingesetzt, zum anderen das Paket FFTrees (Phillips et al., 2017). Hierbei wurde der Algorithmus ifan zur Optimierung auf balanced accuracy eingesetzt.

Modell II – Formate filtern, die eindeutig informierte Entscheidungen verhindern

Ist informiertes Anlegen ausgeschlossen?

 

Das Modell II warnt bei Angeboten, bei denen Experten voll und ganz zustimmen, dass keine informierte Entscheidung ermöglicht wird. Das Modell enthält nur kausal verbundene Merkmale, d.h. Anbieter mit Verschleierungsabsicht können diese nicht einsetzen, ohne die Informationsbasis für die potenziellen Kunden zu verbessern. Zum einen wurde für die Modellidentifikation der recursive-Algorithmus von Marcus Buckmann und Özgür Simşek (Manuskript in Vorbereitung) eingesetzt, zum anderen das Paket FFTrees (Phillips et al., 2017). Hierbei wurde der Algorithmus ifan zur Optimierung auf balanced accuracy eingesetzt.

Wie hoch ist die Qualität der Daten?

Die Daten (gesammelte Fälle) wurden zwischen 2017 und 2019 gesammelt und in ihren Merkmalen kodiert sowie von Experten bewertet. 693 Fälle waren vollständig. Die Datensätze wurden zufällig in Trainings- (zwei Drittel) und Testdatensets (ein Drittel) aufgeteilt.

Das Modell zur Erkennung von Angebotsinformationen, die hochwahrscheinlich eine informierte Investition ermöglichen, hat folgende Qualität:

Im Rahmen einer Kreuzvalidierung des identifizierten Entscheidungsbaums ergaben sich folgende Gütemaße: balanced accuracy = 0,78; Sensitivität in der Erkennung von Angebotsinformationen, die eine informierte Entscheidung ermöglichen (Anteil von 3% im Testset), von 0,83. Dies bedeutet, dass 83 von 100 solcher Angebotsinformationen erkannt werden.

Die Spezifität bei der Bestätigung von teilweise weniger oder kaum informierenden Angebotsinformationen liegt bei 0,72.

Das Modell zur Erkennung von Angebotsinformationen, die definitiv keine informierte Investition ermöglichen, hat folgende Qualität:

Im Rahmen einer Kreuzvalidierung des identifizierten Entscheidungsbaums ergaben sich folgende Gütemaße: balanced accuracy = 0,69; Sensitivität in der Erkennung problematischer Angebotsinformationen, die definitiv keine informierte Entscheidung ermöglichen (Anteil von 29% im Testset), von 0,80. Dies bedeutet, dass 8 von 10 problematischer Angebotsinformationen erkannt werden.
Die Spezifität bei der Bestätigung von teilweise weniger oder kaum informierenden Angebotsinformationen liegt bei 0,57.

Entwicklungspotenzial

1.    Kontinuierliche Weiterentwicklung der Basis von Trainingsdaten aufgrund der Veränderung der Angebotssituation
2.    Höherer Anteil von laiengesammelten Angeboten, um dem tatsächlichen Suchverhalten und Auffinden gerecht zu werden

 

Zur empirischen Evaluation mit Verbrauchern

Alle Forschungsergebnisse zu den Grundlagen und zur Wirksamkeit der RisikoAtlas-Werkzeuge bezüglich Kompetenzförderung, Informationssuche und Risikokommunikation werden mit dem Projekt-Forschungsbericht am 30. Juni 2020 veröffentlicht. Bei vorausgehendem Interesse sprechen Sie uns bitte direkt an (Felix Rebitschek, rebitschek@mpib-berlin.mpg.de).

Datum der letzten Aktualisierung: 27. November 2019

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