Methode relatives Risiko verstehen

18% mehr Risiko – Vom relativen Zusammenhang zwischen Wurst und Krebs

Herausforderung Risikokompetenz

Verbesserung der Risikokompetenz von Verbrauchern.

Risikokompetenz lässt sich als eine Sammlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten verstehen, welche ein kritisches Verständnis von unsicheren Ereignissen und einen für das eigene Leben dienlichen Umgang mit diesen ermöglichen. Hierzu zählen:

  • Risiko von Sicherheit korrekt zu unterscheiden,
  • Probleme des Risikos von Problemen der Unsicherheit korrekt zu unterscheiden,
  • numerische Wahrscheinlichkeitsausdrücke korrekt zu interpretieren,
  • bedingte Wahrscheinlichkeiten korrekt zu berechnen,
  • grafische Risikodarstellungen (Diagramme) kritisch zu nutzen,
  • Referenzbedingungen von Wahrscheinlichkeitsausdrücken zu hinterfragen,
  • absolute und relative Risikodarstellungen korrekt zu unterscheiden.

 

Warum ist es relevant, die Risikokompetenz von Verbrauchern zu verbessern?

Wunsch und Ziel ist es, dass der Verbraucher bessere Entscheidungen trifft. Dem entgegenstehend finden Verbraucher, wenn sie nach Informationen recherchieren, um eine Entscheidung vorzubereiten, oft Statistiken, die eine verzerrte Interpretation begünstigen. Wenn Prozentangaben (Einzelfallwahrscheinlichkeiten) angegeben werden, ist oft nicht klar, auf wen und was sich unter welchen Bedingungen eine solche Zahl bezieht. Ohne diese Bezugsgrößen ist aber eine Prozentzahl quasi beliebig interpretierbar.

Speziell die relativen Risikodarstellungen in der Form einer prozentualen Veränderung lassen Zunahmen oder Abnahmen deutlich stärker erscheinen, als sie unter Umständen sind. Geschätzt 13.000 zusätzliche Abtreibungen wurden in England 1995 verzeichnet, nachdem die britische Aufsicht für Arzneimittelsicherheit bekannt gab, dass die Pille der nächsten Generation das Risiko eines gefährlichen Blutgerinnsels um 100% steigert. Das absolute Risiko zu beziffern – im konkreten Fall stieg die Gefahr eines Blutgerinnsels von einer auf zwei Frauen aus 7000 Frauen an –, hätte viel Schaden abwenden können.

 

Warum ist es schwierig, die Risikokompetenz hinsichtlich der Interpretation von angegebenen Wahrscheinlichkeiten zu verbessern?

Möchte man die Risikokompetenz von Verbrauchern bei der Interpretation von angegebenen Wahrscheinlichkeiten erhöhen, muss man sie dazu bringen, diese infrage zu stellen. Sie sollten sich fragen, auf wen und was sich Wahrscheinlichkeitsangaben beziehen. Hierfür ist zu beachten:

  • Das Bewusstsein darüber, dass sich relative und absolute Risiken unterscheiden, ist nicht weit verbreitet.
  • Die Bezugsbedingungen einer einzelnen Wahrscheinlichkeitsangabe können vielfältig sein, z.B. Gruppen, Zeiträume, Dosen von Substanzen.
  • Das Interesse an der Auseinandersetzung mit statistischen Lerninhalten muss geweckt werden.
Welcher wissenschaftliche Lösungsansatz bietet sich an?

Um die verschiedenen Bezugsgrößen einer Wahrscheinlichkeitsangabe zu vermitteln (Risikogegenstand, Bezugsdosen, Bezugsgruppen, Effektgröße), ist es zielführend, diese aus der Angabe schrittweise herauszulösen. In der Lernvisualisierung werden daher kontinuierlich Testaufgaben mit erklärenden Rückmeldungen zu den einzelnen Bezugsgrößen eingesetzt. Diese werden durch schrittweise Veränderungen einer Visualisierung begleitet. Diese spiegeln die ebenso inhaltliche Dekomposition der einzelnen Wahrscheinlichkeitsangaben wider.

Um die Schlüsselinformation zu bekommen, was eine relative Wahrscheinlichkeitsangabe bedeutet, muss der Leser zwei Antworten erhalten: Wie viele sind ohne die Veränderung betroffen (Ausgangssituation), und wie viel absoluter Menge oder absoluter Anzahl entspricht die Veränderung? Hierfür empfiehlt sich die Kontrastierung nach dem Faktenboxen-Prinzip (McDowell et al., 2016). Hierfür sollte man auf die visuelle Form von Icon Arrays zurückgreifen, den Standard wissenschaftlicher statischer Risikokommunikation. Sie erleichtern insbesondere Menschen, die Schwierigkeiten im Umgang mit Zahlen haben, das Verständnis kleiner Wahrscheinlichkeiten (Galesic et al., 2009).

Interaktivität kann eingesetzt werden, um das Interesse aufrechtzuerhalten. Dies sollte, wie hier, sparsam, gezielt und stimmig mit der notwendigen Bedienung und dem Inhalt sein. Da es sich um spielerisches Lernen aus dem Erwachsenenbereich handelt (Barth, 2018), lässt sich dieses Interesse bei bestimmten Lesern durch eine Ansprache des Machtmotivs (Wettbewerb, Status) noch verstärken (Sailer et al., 2014), indem das eigene Wissen zum thematisierten Risiko mit anderen verglichen wird. Das reduzierte Design verzichtet darauf, weitere, das Interesse durchaus motivierende Details zu präsentieren. Diese könnten dem eigentlichen Ziel zuwiderlaufen, gerade wenn sie sich nicht stimmig in den Inhalt einfügen, gar ablenken oder einfach zu Verwirrung führen (Eitel & Kühl, 2019).

Literatur zu den methodischen Grundlagen
  • Barth, R. (2018). Möglichkeiten der Nutzung von Game Design Prinzipien in der Erwachsenenbildung. digital. innovativ|# digiPH, 109–118.
  • Eitel, A., & Kühl, T. (2019). Harmful or helpful to learning? The impact of seductive details on learning and instruction. Applied Cognitive Psychology, 33(1), 3–8.
  • Galesic, M., Garcia-Retamero, R., & Gigerenzer, G. (2009). Using icon arrays to communicate medical risks: Overcoming low numberacy. Health Psychology, 28, 210–216. doi:10.1037/a0014474
  • McDowell, M., Rebitschek, F. G., Gigerenzer, G., & Wegwarth, O. (2016). A simple tool for communicating the benefits and harms of health interventions: A guide for creating a fact box. MDM policy & practice, 1(1), 2381468316665365.
  • Sailer, M., Hense, J., Mandl, J., & Klevers, M. (2014). Psychological perspectives on motivation through gamification. Interaction Design and Architecture Journal, (19), 28–37.
Wie können Sie die Methode übernehmen?

Wenn Sie ein Verbraucherthema von unserer Internetseite übernehmen möchten, können Sie das über die folgenden drei Wege tun: 

1. Weg: Sie können die vorliegende Visualisierung einbinden
Es besteht die Möglichkeit, die Visualisierung von unserer Website samt Rahmentext über iframe einzubinden. Hierfür übernehmen Sie folgenden html-Code für Ihre Webseite: <iframe frameborder="0" height="650px" src="https://static.risikoatlas.de/modules/understanding-relative-risks/index.html" width="1024px"></iframe>

2. Weg: Sie können die vorliegende Visualisierung adaptieren
Sollten Sie als Multiplikator Ihre eigenen Daten nutzen, können Ihre Webentwickler diese in die Lernvisualisierung einpflegen.

Wir stellen Ihnen den dokumentierten Code für den Verantwortlichen Ihrer Webseite zum Download über github bereit. Sie können das Material dann editieren. Den Link zum Repository finden Sie demnächst hier.

3. Weg: Sie können das wissenschaftliche Prinzip unabhängig anwenden
Wenn Sie hierbei Unterstützung benötigen, konsultieren Sie bitte den Abschlussbericht zum RisikoAtlas-Projekt ab Juli 2020 oder richten Sie eine Anfrage an uns. Die Kontaktdaten finden Sie im Reiter Kontakt.

Wir bitten darum, bei der Nutzung der Instrumente den Zuwendungsgeber, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, sowie das Harding-Zentrum für Risikokompetenz als verantwortliche Entwickler zu erwähnen.

Die Logos zum Download finden Sie hier.

Links zu weiteren Methoden
Visualisierung mit Rahmentext

18% mehr Risiko – Wie ist das mit Wurst und Krebs?

Zwei Salamibrötchen am Morgen oder ein Wiener Würstchen zum Mittag. Mehr verarbeitetes Fleisch sollten Sie laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung täglich nicht essen. Ansonsten – und das dürfte den deutschen Wurstliebhaber erst einmal erschrecken – erhöht sich Ihr Darmkrebsrisiko um 18% für je 50 Gramm verarbeitetes Fleisch pro Tag. Damit steht dieses Risiko auf der gleichen Gefahrenstufe der Weltgesundheitsorganisation WHO wie Rauchen oder Asbest. Bevor Sie nun aber in Zukunft Ihr Rührei nur noch ohne Schinkenspeck essen, sollten Sie sich folgende Fragen stellen: 18% von was? Wie häufig kommt Darmkrebs eigentlich vor? Wie lange muss man wie viel mehr verarbeitetes Fleisch als der Durchschnitt der Bevölkerung essen, damit das Darmkrebsrisiko um besagte 18% steigt? Wenn Sie keine dieser Fragen beantworten können, die Statistik Sie aber beunruhigt, sollten Sie sich unsere interaktive Grafik anschauen. Denn wenn Sie einschätzen können, was relative Angaben wie „18% höheres Risiko“ genau bedeuten und wie häufig etwas normalerweise ohnehin vorkommt, lebt es sich gleich viel entspannter.

 

Wann brauche ich die Visualisierung?

Wenn Sie etwas lernen möchten. Die Bearbeitung dieser Lernvisualisierung soll Sie einerseits in den Fragen schulen, mit denen Sie angegebene Wahrscheinlichkeiten im Hinblick auf ihre Bezugsgrößen auseinandernehmen können. Nur so können Sie diese Angabe einordnen. Andererseits sollen Sie auch lernen, alleinstehende relative Risikoangabe (prozentuale Veränderung) zu hinterfragen, um das tatsächliche Ausmaß von Veränderung zu verstehen. Damit leisten Sie einen Beitrag für Ihre eigene Risikokompetenz. Diese Lernvisualisierung dient nicht dazu, Sie bei einer konkreten Entscheidungsfindung zu unterstützen.

 

Was zeigt die Visualisierung?

Die Visualisierung stellt eine Abfolge von Multiple-Choice-Fragen dar. Die grafischen Elemente unterstützen dabei die Zerlegung der Wahrscheinlichkeitsangabe. Neben den korrekten Antworten erhalten Sie auch eine Rückmeldung darüber, wie oft andere Lernende die Fragen korrekt beantworteten.

Quelle und Qualität der Daten

Woher stammen die Zahlen?

  • Ärzteblatt (2015). WHO-Behörde stuft rotes Fleisch und Wurst als krebserregend ein, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64572/WHO-Behoerde-stuft-rotes-Fleisch-und-Wurst-als-krebserregend-ein (zuletzt abgerufen am 27.09.2019).
  • Bouvard, V., Loomis, D., Guyton, K. Z., Grosse, Y., El Ghissassi, F., Benbrahim-Tallaa, L., ... & Straif, K. (2015). Carcinogenicity of consumption of red and processed meat. Lancet Oncology, 16(16), 1599.
  • International Agency for Research on Cancer. (2015). IARC Monographs evaluate consumption of red meat and processed meat. press release, 240, https://www.iarc.fr/wp-content/uploads/2018/07/pr240_E.pdf (zuletzt abgerufen am 27.09.2019).

Wie hoch ist die Qualität der Daten?

Die entscheidenden Zahlen zu den Krebserkrankungen stammen aus Beobachtungsstudien großer Menschengruppen (prospektive Kohortenstudien). Die Qualität solcher Studiendaten gilt grundsätzlich als moderat, da sie keinen direkten Vergleich zwischen einer zufällig ausgewählten Kontrollgruppe mit den Personen, die Fleisch verzehren, ermöglicht. 

Zur empirischen Evaluation mit Verbrauchern

Alle Forschungsergebnisse zu den Grundlagen und zur Wirksamkeit der RisikoAtlas-Werkzeuge bezüglich Kompetenzförderung, Informationssuche und Risikokommunikation werden mit dem Projekt-Forschungsbericht am 30. Juni 2020 veröffentlicht. Bei vorausgehendem Interesse sprechen Sie uns bitte direkt an (Felix Rebitschek, rebitschek@mpib-berlin.mpg.de).

Datum der letzten Aktualisierung: 14. Oktober 2019

Links zu weiteren Themen